Leitfrage 8

Was sollten die Beurteilungen von Schülertexten mit den Gütekriterien von standardisierten Tests gemeinsam haben und was lässt sich dazu sagen?

Musterantwort zu Leitfrage 8

An die Beurteilung von Schülertexten sind dieselben Anforderungen zu stellen, wie an die Gütekriterien von standardisierten Tests und wissenschaftlichen Untersuchungen. Damit ist gemeint, dass Beurteilungen valide, objektiv und reliabel sein müssen.

Das Kriterium der Validität (Gültigkeit) fordert, dass ein Test auch wirklich nur das testet, was vor dem Test als Beurteilungsabsicht bekanntgegeben worden ist. Ein Kriterium, welches VOR dem Test nicht als Beurteilungskriterium festgelegt wurde, darf demnach auch nicht bewertet werden. Da in Schülertexten nicht immer vorhersehbar ist, welche besonderen (zusätzlichen) Leistungen Schülerinnen und Schüler imstande sind zu zeigen, lohnt es sich – wenn man mithilfe von Kriterienrastern beurteilt – ein Kriterium mit dem Titel "Besonderes" oder "Extra Punkte" vorzusehen. Dabei kann man für eine Leistung, die nicht erwartbar war (und die entsprechend nicht als Kriterium ausgewiesen werden konnte), trotz allem Punkte vergeben.

Das Kriterium der Objektivität verlangt, dass sowohl eine Beurteilung wie auch eine Note frei ist von der subjektiven Meinung der Lehrperson. In anderen Worten: Der Schülertext müsste, wenn er von einer oder mehreren anderen Lehrpersonen beurteilt würde, immer gleich bewertet/benotet werden. Zahlreiche Untersuchungen zeigen leider, dass gerade das Kriterium der Objektivität bei der Beurteilung von Schülertexten oft nicht gegeben ist. Die typischen subjektiven Beurteilungsfehler können wie folgt klassifiziert werden (nachzulesen auf S. 109):

  • Milde- bzw. Strenge-Effekt
  • Tendenz zur Extremurteilen
  • Tendenz zur Normalverteilung
  • Reihungseffekt
  • Halo-Effekt
  • Pygmalion-Effekt
  • Fehler der sozialen Erwünschtheit

Die Bewertung und vor allem die Benotung von Schülertexten ohne die Festlegung von Kriterien führt fast unweigerlich dazu, dass sich die Lehrperson von subjektiven Einflüssen leiten lässt. Dazu sagt Sander (1995, zitiert nach Merz-Grötsch, S. 109): "Die verschwiegenen subjektiven Anteile des Lehrers und die Verstecktheit und Abstraktheit der Bewertung erzeugen eine bedenkliche Scheinobjektivität: Noten sehen aus, als wären sie Ergebnisse mehr oder weniger exakter Messvorgänge, während sie in Wahrheit Schätzurteile darstellen, […]." Interessanterweise zeigen auch Untersuchungen auf Seiten der Lehrpersonen ein grosses Unbehagen im Hinblick auf die Beurteilung und Benotung von Schülertexten. Demnach gibt es für viele Lehrkräfte "nichts Schlimmeres als Aufsätze zu benoten" (S. 113) und es zählt für die meisten zu den "schwierigsten Aufgaben" und zwar, weil sich das Urteil bzw. die Note für einen Text nicht "exakt ermitteln" lässt, so wie bei einer Mathematik-Aufgabe, die entweder richtig oder falsch ist.

 

Das Kriterium der Reliabilität (also der Verlässlichkeit) ist dann gegeben, wenn ein Schülertext nach einer längeren Zeit von derselben Lehrperson noch einmal bewertet wird und dabei dieselbe Beurteilung bzw. Benotung herauskommt. Um diesem Kriterium gerecht zu werden, müsste jeder Text vor der Erstbeurteilung/Erstkorrektur kopiert werden und zu einem späteren Zeitpunk ein zweites Mal korrigiert werden. Die Anonymisierung der Texte wäre zu diesem Zweck ausserdem ratsam. In der schulischen Realität sprengt dieses Vorgehen aber in der Regel jegliche zur Verfügung stehenden Ressourcen.

 

Leitfrage 9

Was ist der Vorteil einer Gesamtevaluations-Tabelle, wie sie im Beispiel auf S. 118 (Tabelle 19) zu sehen ist?

Musterantwort zu Leitfrage 9

Mit einer Gesamtevaluationstabelle kann die Entwicklung der Schreibkompetenzen einer Klasse auf einfache Art sichtbar gemacht werden. Um zu einer Gesamtevaluationstabelle zu gelangen, nimmt die Lehrperson die ursprüngliche Rohwerttabelle (Beurteilungskriterien für den gegebenen Schreibauftrag) und ergänzt sie mit den Namen aller Schüler der Klasse. So ergibt sich eine sehr einfache und anschauliche Übersicht, welche Schüler/Schülerinnen der Klasse in welchen Bereichen noch Unterstützung nötig haben. Auf diese Weise kann die Lehrperson auf einfache Art erkennen, wie wirksam ihr Schreibunterricht war und welche SuS in welchen Teilaspekten der Schreibkompetenz noch Förderung benötigen. Dies ist die perfekte Grundlage für differenzierenden und individualisierenden Schreibunterricht. Anhand der Tabelle kann auch erkannt werden, welche Gruppen von SuS für die vertiefte Bearbeitung von bestimmten Arbeitsfeldern gebündelt werden können.

Modifié le: samedi 3 septembre 2022, 14:59